Fragen an Sara Hiebl
Geschrieben von therapieundwissen am 29. August 2019 um 10:41 UhrSara Hiebl ist noch gar nicht sooo lange Referentin bei uns, dafür war sie aber schon ganz schön oft da, was heißt, dass ihre Kurse auf viel & gute Resonanz stoßen (die sie übrigens häufig gemeinsam mit ihrer Kollegin Anja Junkers gibt)! Sara strahlt immer eine angenehme Präsenz & Ruhe aus, was man auch ein bisschen in ihren Antworten hier spüren kann, für die sie sich viel Zeit genommen hat. So lieben Dank dafür!
Wie sieht deine Arbeit aus, was machst du?
Das ist gar nicht so einfach zu beantworten, da ich so Vieles mache.
Ich habe seit 10 Jahren eine Praxis für Ergotherapie mit den Schwerpunkten Pädiatrie und Neurologie. Mittlerweile umfasst das Team 9 Therapeuten plus eine Sekretärin. Somit hat sich auch mein Aufgabenfeld in der Praxis stark verändert. Ich arbeite weniger am Klienten; Hauptanteil macht inzwischen das Praxismanagement und die Mitarbeiterbegleitung aus. Schön ist dabei, dass ich mir die Klienten, mit denen ich arbeiten möchte, mittlerweile aussuchen kann.
Seit mittlerweile 9 Jahren bin ich als Referentin tätig. Angefangen habe ich mit meinem Schwerpunkt Autismus. Das Angebot hat sich inzwischen stark erweitert („Ich bin stark!“, „Du+Ich-Konzept“, Coaching in Gesundheitsberufen…). Ich liebe den Austausch mit den Kollegen, das voneinander lernen, zu sehen, wie sich jeder weiterentwickelt.
Aus der Arbeit in der Praxis ist auch die praktische Forschungsarbeit und Konzeptentwicklung entstanden. Wir haben das Gruppenkonzept „Ich bin stark!“ entwickelt und das „Du+Ich-Konzept“, um familienzentriert an Hausaufgaben- und Lernschwierigkeiten zu arbeiten. Dadurch sind die beiden Fachbücher entstanden und meine Autorentätigkeit, u.a. vieler Fachartikel, hat sich ausgebaut.
Inzwischen bin ich auch viel als Beraterin und Coach tätig, sowohl fallsupervisorisch als auch konzeptbezogen oder die eigene Entwicklung betreffend. Und ich bin noch im Leitungsteam eines Qualitätszirkels für Autismus tätig und arbeite für den DVE an der Therapieleitlinie für ASS mit.
Ich denke, dass sind die Hauptschwerpunkte.
Was ist das Beste und was das Schwierigste daran?
Das Beste ist die Vielfältigkeit meiner Arbeit, die Kreativität, die ich in allem einbringen kann, die Zusammenarbeit mit vielen Kollegen in unterschiedlichen Konstellationen, verschiedene Arbeitsorte (ein Teil zum „Du+Ich-Konzept“ ist z.B. in Namibia entstanden), freie Zeiteinteilung, Reisen, meinen Forschergeist ausleben. Aber auch, dass ich meinen hohen Anspruch an Qualität und zukunftsorientiertem Arbeiten in alle Bereiche einbringen kann.
Das Schwierigste? Anderen manchmal voraus zu sein und die Geduld zu haben, bis manche Dinge realisierbar sind. Immer wieder auch bewusst „nein“ zu sagen – Projekte nur anzunehmen, wenn sie wirklich meiner Herzensarbeit, meiner Vision entsprechen und nicht wegen dem Prestige oder weil es niemand anders macht. Schlechte Organisation und Kommunikation sowie fehlende Verantwortungsübernahme in Projektteams – das finde ich sehr anstrengend. Personal zu finden – auch unter dem Aspekt des hohen Qualitätsanspruchs, den wir in der Praxis verfolgen und der stetigen Weiterentwicklung, die durch die supervisorische Begleitung angestoßen wird.
Als Ergotherapeutin arbeiten – warum machst du das?
Für mich ist Ergotherapie die ideale Möglichkeit, mit Klienten über die Handlung Dinge erfahrbar zu machen. Die Handlung ist ein ideales Messinstrument im außen für die Veränderungen, die im inneren passieren. Vor allem hat mich immer fasziniert, dass es in der Ergotherapie nicht um Krankheit, sondern eigentlich um Möglichkeiten geht. Wie kann ich unter den gegebenen Voraussetzungen eine Handlung ermöglichen. Dieser lösungs- und ressourcenorientierte Ansatz hat mich schon immer begeistert. Die Menschen dazu zu befähigen, ihr eigenes Potenzial zu entdecken und zu verwirklichen. Und die Ergotherapie bietet mir so unglaublich viele Möglichkeiten – ich mache nie das Selbe.
Was ist deiner Meinung nach notwendig, damit endlich jeder weiß, vor allem auch Ärzte, was Ergotherapie ausmacht?
Dass sich die Kollegen erst mal selbst ihres Potenzials, ihres Bezugsrahmens und der vielen Möglichkeiten bewusst werden. Ist dieses Bewusstsein vorhanden, wächst auch das nötige Selbstbewusstsein, um für seinen Beruf zu stehen und sein Handlungsfeld zu nutzen. Es geht nicht darum zu kämpfen und sich gegen andere verteidigen zu müssen. Es geht darum, aus dem eigenen Standpunkt heraus sein Handeln zu vertreten und für andere erklärbar/nachvollziehbar zu machen. Dazu gehört für mich auch, das eigene Handeln immer wieder kritisch zu hinterfragen und zu reflektieren. Beides ist in unseren Ausbildungen/Studiums noch viel zu wenig verankert.
Welche guten Tipps hast du für andere Praxisinhaber bzw. für Mitarbeiter in einer Praxis?
Sich an einen Tisch zu setzen und ins Gespräch zu kommen. Welche Bedürfnisse gibt es auf beiden Seiten? Wie wird damit gegenseitig umgegangen? Welche Gestaltungsmöglichkeiten gibt es? Wie kann man das Potenzial eines jeden im Team mit einbinden? Was schätzt man aneinander? Welche Verantwortung habe ich? Wie bekommt man Klarheit in Prozesse und Abläufe? Welche Vorschriften gibt es, an die man sich halten muss und warum? … Immer wieder erlebe ich, dass mangelnde Kommunikation und Transparenz großes Konfliktpotenzial schafft und damit der Raum für die eigentliche Arbeit und Entfaltung eingeengt wird. Aber auch die Unwissenheit – auf beiden Seiten, Inhaber und Mitarbeiter – über ganz grundlegende Dinge, z.B. arbeitsrechtliche Grundlagen, schafft unnötige Konflikte.
Das große Potenzial und die wertvolle Arbeit, die so viele Kollegen leisten, geraten dadurch oft in den Hintergrund.
Was inspiriert dich für deine Arbeit?
Meine unglaubliche Neugierde, Dinge zu verstehen, zu lernen, mich weiterzuentwickeln, Neues zu entdecken. Anderen die Möglichkeit geben, über einen neuen Blickwinkel, einen kleinen Anstoß, sich selbst zu entdecken, weiterzuentwickeln, ins Gleichgewicht zu kommen. Zu sehen, wie viel Freiheit und Freude entsteht, wenn das gelingt.
Gemeinsam mit einem Kollegen hast du die 1jährige Weiterbildung für Coaching in Gesundheitsberufen konzipiert. Wie kam es zu diesem Angebot und wie läuft der erste Kurs?
Entstanden ist das Angebot, weil eine gemeinsame Freundin meinte, wir sollten uns mal unterhalten. Florian und ich haben entdeckt, dass wir die gleiche Vision teilen. Unsere Vision sind gesunde Therapeuten, die gesunde Menschen auf ihrem Entwicklungsweg begleiten. Es geht schließlich um ein Gesundheitssystem, nicht um ein Krankheitssystem. Und dann haben wir angefangen zu konzipieren.
So geht es uns in der Coaching-Weiterbildung neben der Vermittlung des theoretischen und praktischen Wissens vor allem darum, mit den Teilnehmern eine gesunde Selbstfürsorge zu erarbeiten. Die Kultivierung von Achtsamkeit und die Entwicklung einer wertschätzenden Haltung für die eigene Arbeit wie auch gegenüber den Klienten sind für uns maßgeblich. Wir sehen darin zudem die Möglichkeit, dass Therapeuten ihre Klienten mit ihren immer umfassenderen Anliegen auch langfristig im Gesundheitswesen begleiten können und somit der Berufsflucht entgegenwirkt werden kann.
Der erste Kurs läuft super. Wir sind ausgebucht. Und wir bekommen mega Feedback von überall her. Florian und ich sind voller Staunen und Dankbarkeit für das, was im Kurs entsteht und welches unglaubliche Potenzial die Teilnehmer in sich aktivieren. Und wie sich das ganz konkret in ihrer Arbeit sichtbar macht. Auch die interdisziplinäre Konstellation in der Weiterbildung ist von großem Vorteil. Es ist Zeit für eine Veränderung im Gesundheitswesen – und es ist schön, dass wir mit unserer Vision dazu beitragen dürfen.
Die neuen Termine für 2020 sind auf der Website schon veröffentlicht. Bis Ende September gibt es Frühbucherrabatt.
Eine gute Entdeckung der letzten Zeit?
Das neue Haus, in das wir Anfang Juli gezogen sind. Ich sitze mit meinem Schreibtisch mitten im Grünen. Das erdet und gibt wahnsinnig viel Kraft. Die gute Entdeckung dahinter ist aber vor allem, der inneren Führung zu vertrauen und Dinge nicht nach dem Kopf zu entscheiden. Sonst wären wir nicht im Juli umgezogen.
Was wünschst du dir für deine Arbeit? Und wovon träumst du?
Dass Schüler in therapeutischen Berufen viel mehr darin geschult werden, sich selbst als effektives Werkzeug einzusetzen und im Coaching begleitet werden, um eine gesunde Selbstfürsorge zu entwickeln. Alle Methoden und Techniken sind gutes Beiwerk, aber wenn das Fundament nicht steht, dann trägt es nicht lange. Gerade in der heutigen Zeit ist das unabdingbar – eine schlechte Bezahlung ist nicht der alleinige Grund, warum Therapeuten ihren Beruf verlassen. Wir können nicht von Gesundheitsberufen sprechen, wenn wir selbst dabei nicht gesund bleiben.
Ich wünsche mir, dass immer mehr Leute den Mut haben, ihr Potenzial zu entdecken und es ins Leben zu bringen. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich die Welt verändern wird, je mehr wir beginnen unserem eigenen Weg zu folgen. Auf unseren Artikel „Die Bedeutung von Spiritualität“, der gerade im Juli erschienen ist, haben wir so ein tolles Feedback bekommen; der Artikel hat so viele Herzen angestoßen. Traut euch – es gibt so Vieles in Euch zu entdecken! Macht Eure Arbeit mit anderen und für Euch selbst (Dalai Lama).
Was inspiriert dich und dein Leben neben der Arbeit?
Täglich meditieren, zu forschen, wie sich Spiritualität und Achtsamkeit ganz praktisch in den Alltag integrieren lassen. Natur, Wasser, mein Garten. Eine tiefe Freude am Leben und dieser täglich Ausdruck zu geben. Neugierde und Offenheit für Begegnungen.